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Beziehungen in der Landwirtschaft: Eine besondere Herausforderung

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Während der familiäre Betrieb laufen muss, sind Beziehungen auf eine harte Probe gestellt. Denn: Der Arbeitstag findet kein Ende, die finanzielle Belastung ist hoch, Hobbys bleiben auf der Strecke. Manches Paar verliert sich dann aus den Augen.

Wenn der Partner aus der Landwirtschaft kommt

„Das ist halt einfach so auf dem Hof. Du wusstest doch, worauf du dich einlässt.“  Diesen Satz ihres Partners Nikolai Oberbeck hat Lisa Prost mehr als einmal gehört (Namen von der Redaktion geändert). Immer dann, wenn sie versuchte, ihre eigenen Bedürfnisse mitzuteilen.

Die Landwirtschaft ist ihr schon lange vertraut, deshalb war vorher klar: Den Partner gibt es nur im Kombi-Paket: Sie entscheidet sich für Nikolai, einen arbeitsreichen Alltag und für das Leben mit den Eltern ihres Freundes unter einem Dach. Geteilte Sorgen, mögliche Familienstreitigkeiten und Verantwortung dafür, dass der Betrieb wirtschaftlich erfolgreich ist, nahm die heute 25-Jährige auf sich. Sie freute sich darauf, sagt sie rückblickend. Bis sie sich zunehmend einsamer fühlte.

Konflikte, die im Inneren brodeln

Zu wissen, was das Leben auf dem Hof bedeutet, ist noch kein Garant für eine glückliche Partnerschaft. Lisa und ihr Freund haben es nicht geschafft – sie sind getrennt. Der Landwirtschaft ist sie trotzdem treu geblieben, indem sie heute in der Tierhaltung berät.

Eine Paar- oder Familienberatung kann schon ansetzen, bevor der Entschluss einer Trennung gefasst ist. Bei Streitthemen, die schon offen ausgesprochen sind, oder Konflikten, die im Inneren der Beteiligten brodeln.

Eine Trennung spielte in älteren Generationen kaum eine Rolle. Frauen hatten früher oftmals keinen Berufsabschluss und waren finanziell von ihrem Mann abhängig. Laut aktuellen Statistiken werden heutzutage hingegen 40 Prozent der Ehen in der Landwirtschaft geschieden. Und gleichzeitig scheint es einen neuen Trend zu geben: Vor allem junge Paare fragen in der Beratungsstelle Familie und Betrieb in St. Ulrich häufiger Unterstützung an. Denn sie wünschen sich eine erfüllte Beziehung. Die Offenheit wächst, sich mit sich selbst, dem Partner oder der Partnerin und der Beziehung auseinanderzusetzen.

Kommunikation muss warten

Privates und Berufliches sind nicht getrennt, mehrere Generationen leben unter einem Dach und die Arbeitsbelastung ist extrem hoch. Das sind laut Birgit Motteler die größten Herausforderungen für Paare in der Landwirtschaft. Die Agraringenieurin berät schon viele Jahre in St. Ulrich.  Familien und Paare, die unterstützt werden wollen, kommen mit gegenseitigen Erwartungen zu ihr und streiten immer wieder über dieselben Themen. Im stressigen Alltag eine Lösung zu finden, sei oftmals sehr schwierig, weil die Kommunikation hintenansteht. Dafür haben Birgit Motteler und die Eheberaterin Eva-Maria Schüle großes Verständnis, denn in St. Ulrich berät nur, wer selbst einen landwirtschaftlichen Hintergrund hat.

Lisa Prost und ihr Exfreund waren auf sich gestellt, wenn es um ihre partnerschaftlichen Probleme ging. Sie wollte darüber reden und Lösungen suchen, er fand Gründe, warum es nicht möglich ist, etwas zu verändern. „Du hast keinen Betrieb daheim. Du hast nicht so viel zu tun wie ich. Deshalb kommst du zu mir statt ich zu dir“, war für Nikolai Oberbeck schon klar, als die beiden sich gerade kennenlernten.

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Das Paar-Sein nicht zu verlernen ist manchmal nicht leicht. Erst recht, wenn man gemeinsam Kinder hat. Schöne gemeinsame Momente als Familie, als Paar und Auszeiten für die eigenen Bedürfnisse tun allen gut.

Einseitiges Engagement

Dieses einseitige Engagement habe sich nicht gut angefühlt, erzählt Lisa Prost. Dennoch: Sie war optimistisch und wünschte sich die gemeinsame Zukunft. Als Neue im Betrieb – die tagsüber auswärts arbeitete, im Anschluss ihre Masterarbeit schrieb –  widmete sich die 25- Jährige den Verpflichtungen auf dem Hof, als andere ins Bett gingen. Ab 22 Uhr bis tief in die Nacht hinein unterstützte sie ihren Partner und dessen Familie. „Hätte ich nicht mitgearbeitet, auch im Lohnunternehmen am Wochenende, hätten wir uns gar nicht gesehen“, lautet ihr Resümee. Zeit zu zweit, unabhängig vom Arbeitsalltag, habe ihr trotzdem nicht gefehlt. Denn: „Für mich war klar, wir übernehmen zusammen den Betrieb mit allem, was dazugehört, und dann läuft die Sache“, fasst Lisa Prost zusammen, was sie sich erhoffte.

Wieso Beziehungen zerbrechen

Beide brennen für die Landwirtschaft. Wie kommt es dennoch dazu, dass Paare scheitern und Beziehungen zerbrechen?

Ist der Punkt erreicht, dass ein Mensch sich durch die Mehrfach-Belastung mehr und mehr überfordert fühlt, begleitet häufig Frust den Alltag. Birgit Motteler weiß: „Wer sich grundlegend angespannt fühlt, ist schneller dabei, die Schuld für etwas, das nicht gelingt, anderen zuzuschreiben.“

Denn: Vielen fehlt der Ausgleich. Sie stellen ihre persönlichen Bedürfnisse hinten an und soziale Kontakte müssen sich den Arbeitsspitzen anpassen. Dinge, die für andere normal sind – wie spontan ins Freibad gehen, übers Wochenende wegfahren oder einen Serien-Marathon vor dem Fernseher – erleben Landwirtinnen und Landwirte nur äußerst selten. Die Ernte muss rein, die Kuh muss bei der Geburt ihres Kalbes unterstützt werden oder Maschinen brauchen dringend eine Reparatur: Aufgaben, die auch vor Ferien und Feiertagen nicht Halt machen.

„Wer sich grundlegend angespannt fühlt, ist schneller dabei, die Schuld für etwas, das nicht gelingt, anderen zuzuschreiben.“

Birgit Motteler Beratungsstelle Familie und Betrieb in St. Ulrich

Für die eigenen Bedürfnisse einstehen

Was helfen kann? Auch im vollen Arbeitsalltag für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen. Dies hängt mit der Zufriedenheit in der Beziehung zusammen. Deshalb ist Teil der Beratung, über sich selbst zu reden, zu sagen, wie es einem geht, was einen bewegt. Mit dem offenen Austausch über die persönlichen Wünsche ist verbunden, dass sich jeder über seine eigene Rolle auf dem Hof klar wird. Wer dort aufgewachsen ist, ist schon gefestigter darin. Für den Partner oder die Partnerin, die dazukommt, sei es schwierig, sich in die bestehende Hof- und Familienstruktur einzufinden, bekräftigt Eva-Maria Schüle. Erst recht, wenn einer von beiden nicht aus der Landwirtschaft kommt. „Es prallen zwei Lebenswelten aufeinander“, unterstreicht die Beraterin.

Was Lisa Prost beschreibt, kennen die meisten Menschen in der Landwirtschaft. Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt, für das, was sie leisten. Zum einen in ihrer Arbeit für den Betrieb und zum anderen in ihrem Engagement für die Beziehung. „Du buchst den Urlaub und ich bin dann halt dabei“, klärte Lisas Partner einst die Zuständigkeiten.

Auch Birgit Motteler weiß, dass Männer wie Frauen das „Paar-Sein“ oftmals verlernen. Wenn sie Kinder kriegen oder einfach aufgrund der vielen Anforderungen, verlieren sie den Zugang zueinander.

Dort setzt Beratung an. Sie kann neuen Schwung verleihen, indem Paare mehr Bewusstsein über sich selbst, einander und ihre Beziehung gewinnen.

Gut ist, was guttut

Was in der Theorie abstrakt klingt, ist in der Praxis einfach erklärt: Es geht darum, sich Gutes zu tun. Zu zweit und jede Person für sich alleine, auch wenn dafür oft nur kurz Zeit ist. Spazieren gehen, Freundinnen und Freunde treffen, Fahrrad fahren und über Schönes sprechen.

Was guttut, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Dabei ist es okay, nicht alle Interessen miteinander zu teilen.  Wichtig ist, dass beide einander regelmäßig sagen, was sie an ihrem Gegenüber schätzen. Außerdem sollten die Probleme des Partners oder der Partnerin ernst genommen werden. Denn: Eine erfüllte Beziehung ohne Verständnis füreinander ist unwahrscheinlich. Was es dafür braucht?

Veränderungen sollten nicht als Bedrohung empfunden werden. Außerdem: Mutig zu sein und die eigenen Bedürfnisse und Gefühle dem Partner oder der Partnerin zu offenbaren, lohnt sich. Daraus kann ein gemeinsamer Prozess entstehen, der als Paar verbindet.

Liebe zur Landwirtschaft verbindet als Paar

Vielleicht wären Lisa und Nikolai heute noch zusammen, wenn sie sich frühzeitig Beratung gesucht hätten. Auch Birgit Motteler und Eva-Maria Schüle wissen das nicht sicher. Aber eines halten sie für entscheidend: „Die geteilte Liebe zur Landwirtschaft ist eine gute Basis dafür, sich gemeinsam für die Beziehung einzusetzen.“    

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