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Rollenkonflikte, die jeder kennt und wie man seinen Platz findet

imago/Martin Wagner
Fachbeitrag
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In der Familie haben alle ihre Aufgaben und Rollen – mit teilweise unterschiedlichen Anforderungen. Da kann es zu Rollenkonflikten kommen. Erst recht, weil Familie und Betrieb stark verflochten sind. Was helfen kann und wieso sich die Rollen im Laufe des Lebens verändern, liest du hier.

Rangordnung und Rollen

Als Paula neu dazu kam, brachte sie zuerst einmal alles durcheinander. Paula ist eine wunderschöne Vorderwälderkuh. Als sie neu in unsere Herde kam, hat sie die bestehende Rangordnung und die Rollenverteilung ganz schön durcheinandergewirbelt. Solche Phänomene kennen wir Landwirte, das ist völlig normal. Im Stall und auf der Weide erleben wir das, wenn ein neues Tier in die Herde kommt. Nach einiger Zeit ist die neue Rangordnung geklärt und jedes Tier kennt seinen Platz in der Hierarchie.

Auch in der Familie hat jede und jeder seine Rollen und Aufgaben. Wenn dann ein neues Familienmitglied dazukommt, wird es richtig spannend. Dann braucht die neu dazu gekommene Person nämlich auch einen Platz. Und gleichzeitig muss die Verteilung der Rollen neu überdacht werden.

Unterschied zwischen Familie und Betrieb

Die Systeme Familie und Betrieb sind eng miteinander verflochten. Und doch unterscheiden sie sich durch ihre Werte, Anforderungen und Ziele. Während in der Familie in erster Linie Liebe, Geborgenheit und Gemeinschaft zählen, geht es im System Betrieb um Umsatz und Gewinn, klare Absprachen der Verantwortungsbereiche und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.

Eine der Besonderheiten vieler landwirtschaftlicher Betriebe besteht außerdem darin, dass die Mitarbeiter  und die Familienmitglieder oft ein und dieselbe Person sind. Mit dem Unterschied: Sie spielen in beiden Systemen unterschiedliche Rollen.

Aus der Praxis – Chef und Sohn gleichzeitig

Angenommen, der Sohn ist Betriebsleiter, so hat er im System Betrieb die Rolle des Chefs. Arbeitet sein Vater auf dem Hof mit, ist er ihm als Respektsperson übergeordnet. Sitzen die beiden mit der Familie am Mittagstisch, ist „Familienzeit“. Im System Familie sind die Eltern dem Sohn übergeordnete Personen.

Diese Verflechtung der beiden Systeme macht das Lösen von Konflikten nicht einfach. Doch mit gegenseitigem Respekt, einer guten Portion Toleranz für das „anders Ticken“ und mit wertschätzender Kommunikation auf Augenhöhe, ist die Verbindung der Systeme zu managen und wird dann sogar als besondere Qualität erlebt.

Als hilfreich hat sich Folgendes erwiesen: Familienzeiten finden im Familienbereich statt – sprich in der Wohnung –, den Betrieb betreffende Besprechungen verlegt der Betriebsleiter in die Räumlichkeiten des Betriebs.

imago/CountrypixelVater und Sohn Rollenkonflikt Kommunikation
Die Verflechtung der Rolle als Chef mit der als Sohn oder Vater birgt Konfliktpotenzial. Was hilfreich sein kann: Besprechungen nicht am Familientisch führen.

Raus aus den Rollenkonflikten

Sind die Anforderungen verschiedener Rollen einer Person unterschiedlich, kann das zu Rollenkonflikten führen. „Soll ich als Betriebsleiter noch den FAKT-Antrag bearbeiten oder mir stattdessen als Ehepartner mal wieder einen gemeinsamen Abend mit meiner Frau gönnen?“ Als ersten Schritt, raus aus dem Rollenkonflikt, hilft es, sich die unterschiedlichen Anforderungen bewusst zu machen. Der nächste Schritt besteht darin, die Anforderungen zu bewerten und Prioritäten zu setzen. Das muss täglich neu passieren.

Wenn eine Person dazukommt…

Klassisches Beispiel: Die Partnerin des Hofnachfolgers zieht auf den Hof. Gibt es durch das Dazukommen einer weiteren Frau auf dem Hof eine Veränderung in den Verantwortungsbereichen der Bäuerin? Wer hat jetzt das Sagen? Wird die bisher einzige Frau des Hauses zur Seniorchefin und zieht sich aufs Altenteil zurück?

Früher war die Antwort einfacher. Da war die junge Frau der Seniorin unterstellt und bekam die Aufgaben von ihr zugeteilt. Heute gibt es viele Optionen: Will die junge Frau auf dem Hof mitarbeiten? Will sie sich in einem eventuell neuen Teilbereich einbringen? Wohnt sie nur auf dem Hof und übt ihren Beruf weiter aus? Möchte die Seniorin Arbeitsbereiche abgeben?

Kommunikation und Freiräume

Vieles ist denkbar, und jede Familie muss ihre individuelle Lösung finden. Diese Zeit der Neuorientierung kann verunsichern. Oder als Chance erlebt werden, um genauer die eigenen Bedürfnisse unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, was die Einzelnen brauchen, um in der neuen Situation einen guten Platz zu finden.

Sind die Interessen der einzelnen Familienmitglieder geklärt, sollte vereinbart werden, wer für welche Bereiche im Betrieb die Verantwortung übernimmt. „Schwätze miteinander“ – Kommunikation heißt das Zauberwort. Wenn die Frauen eines Hofs an einem Strang ziehen, tut das jedem Hof gut. Glücklicherweise gibt es inzwischen viele gute Beispiele für ein gelingendes Miteinander der Frauen auf den Höfen, die das alte Feindbild „Schwiegermutter kontra Schwiegertochter“ verblassen lassen.

„Ich möchte nicht jedes Mal ein Gespräch mit meiner Schwiegermutter führen, wenn ich zum Auto laufe“, wünscht sich eine junge Frau, die erst kürzlich auf einen Hof gezogen ist. Förderlich für ein entspanntes Miteinander ist es, getrennte Wohnbereiche (mit eigenen Eingängen) zu schaffen. So wird  Privatsphäre für die  einzelnen Kleinfamilien, Paare und Einzelpersonen besser ermöglicht. Auch was die Zeitstruktur betrifft, tun Freiräume gut. Zeit für sich persönlich und Zeit mit Freunden oder im Verein lässt uns Neues erleben, andere Blickwinkel wahrnehmen und Erlebtes aus einer neuen Perspektive betrachten.

imago/Westend61Frau Landwirtin Schlepper
Wer heute als Partnerin auf einen Betrieb dazukommt, hat mehr Möglichkeiten als früher. Möchte ich hauptsächlich mitarbeiten oder führe ich weiter meinen eigenen Beruf aus?

Wenn es drei Generationen gibt

Sind Enkelkinder da, so sind die Eltern der Kinder verantwortlich für die Erziehung. Oma und Opa dürfen unterstützen – nach den Vorgaben der jungen Familie. Auch hier braucht es das Gespräch und klare Absprachen miteinander. Und das junge Paar sollte unbedingt nachfragen, zu wie viel Unterstützung die Großeltern bereit sind.

Wie stellt sich jedes einzelne Familienmitglied das gemeinsame Familienleben der Großfamilie vor? Wie viel Rückzug und Privatsphäre brauchen die einzelnen Familienmitglieder, um sich wohlzufühlen? Welche gemeinsamen Mahlzeiten und Aktivitäten in der Großfamilie soll es geben? Auch hier ist es hilfreich, wenn alle ihre persönlichen Bedürfnisse darlegen und die Familie dann gemeinsam überlegt, wie sie jedem Familienmitglied gerecht werden kann.

Phase: Hofübergabe

Jede Lebensphase hält ihre eigenen Rollen bereit, und zu jeder Rolle gehören bestimmte Themen, Aufgaben und Sorgen. Für den landwirtschaftlichen Familienbetrieb in der Übergabe heißt das: Ein Landwirt oder eine Landwirtin im Alter zwischen etwa 25 und 35 Jahren will den Hof übernehmen, ihn für die Zukunft gut aufstellen. Umstrukturieren und zu seinem Eigenen machen, ist in dieser Phase angesagt. In diesem Alter sind Menschen häufig risikobereiter und möchten das Erlernte gerne auf ihre Weise umsetzen. Partnerfindung und Familiengründung gehören ebenfalls in diese Lebensphase.

Ein Landwirtspaar ab 50 Jahren sollte bereits ans Übergeben denken. Loslassen ist hier eines der herausfordernden Themen. Gerade in der Landwirtschaft definieren viele Menschen ihren Wert über die Arbeit. Bin ich dann noch etwas wert, wenn ich nicht mehr so viel gebraucht werde auf dem Hof, nicht mehr das Sagen habe? „Woraus schöpfe ich meinen eigenen Wert?“, sind Fragen, durch die man seine eigene Haltung reflektieren kann.

Denn frühzeitig an die Zeit nach der Übergabe denken, macht Sinn. Gibt es für mich noch andere Themen außer Arbeit?  Ein Hobby? Reisen oder andere Dinge, die ich schon immer tun wollte und für die ich keine Zeit hatte? Untersuchungen belegen, dass viele Landwirte nach der Übergabe krank werden. Daher lohnt es sich, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wie die Lebensqualität nach der Hofübergabe aussehen kann.

Oftmals müssen bei Entscheidungen auch nochmals die Rollen geklärt werden. Was allen guttut: Das Seniorenpaar für ihr Lebenswerk wertschätzen. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz für den Hof, ihre Energie und auch ihre finanziellen Mittel hätte die nächste Generation nicht einen solchen Betrieb übernehmen können.

Vertrauen hilft

Das Vertrauen der Eltern, mit allen Fähigkeiten ausgestattet zu sein, um den Betrieb erfolgreich in die Zukunft zu führen. Und: Je unterschiedlicher die Stärken der Familienmitglieder sind, desto besser ist der Betrieb aufgestellt.

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