Das Totalverbot für den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten (SUR) ist umstritten. Ebenso das Naturwiederherstellungsgesetz (NRL), wodurch bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete der Union Maßnahmen zur Renaturierung vorgenommen werden sollen. Wissenschaftler:innen sowie der Deutsche Bauernverband beschäftigen sich mit den Entwürfen. Die Positionen sind kontrovers.
Standort und Kultur entscheidend
Um die ökonomischen Folgen des Verzichts auf chemische Pflanzenschutzmittel abschätzen zu können, hat der Deutsche Bauernverband ein Gutachten in Auftrag gegeben.
Daraus geht hervor, dass je nach Kultur unterschiedlich hohe Ertragsverluste zu erwarten sind. Neben der Kultur nimmt demnach auch die Ausgangssituation des Standortes Einfluss auf die ökonomischen Auswirkungen. Die potenziellen Einkommensverluste könnt ihr in der Tabelle (siehe unten) nachlesen.
Im Ackerbau – bei Wintergetreide - belaufen sich die durchschnittlichen Ertragsverluste auf ca. 30 Prozent. Bei Kartoffeln und Winterraps könnten die Erträge um 40 Prozent einbrechen. Bei Sommergetreide, Körnerleguminosen, Ackerbohne, Futtererbse und Mais sind im Anbau ohne chemischen Pflanzenschutz mit deutlich geringeren Ertragseinbußen verbunden.
Bezogen auf Grünland sind – laut Wortlaut der Gutachten-Zusammenfassung – mit 5 Prozent und 10 Prozent kalkuliert worden. Diese stünden vor allem für einen verminderten Frischmasseertrag und die Qualität. In einem Milchviehbetrieb könne das zu Bestandsabbau der Herde führen, wenn die Grundfutterknappheit nicht kompensiert werden kann.
Bald Totalausfall bei Gemüse?
Beim untersuchten Gemüse wurden potenzielle Ertragsminderrungen von mindestens 30 Prozent bis hin zum Totalausfall festgestellt. Dieser Totalausfall wird mit den Qualitätsparametern für die Vermarktung in Verbindung gebracht. Das heißt, entspricht die Ware ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht mehr den vorgegebenen Kriterien, kann sie nicht vermarktet werden.
Besonders Schadpilze und Schädlinge seien ohne chemischen Pflanzenschutz nur schwer zu kontrollieren. Außerdem stünden kaum alternative Verfahren der Regulierung von Schadorganismen zur Verfügung. Herbizide können hingegen durch die manuelle Handhacke ersetzt werden. Dieses Verfahren koste jedoch mehr Zeit und Geld als der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
Der Wein- und Tomatenanbau könnte demnach besonders stark betroffen sein. Der Deutsche Bauernverband fürchtet deshalb, dass ganze Betriebszweige wegfallen könnten, weil sie wirtschaftlich nicht mehr rentabel sind.
Pro Nachhaltigkeit
Auch Wissenschaftler:innen melden sich in der Debatte zu Wort. In einem offenen Brief haben sich rund 3300 Fachleute dafür ausgesprochen, SUR und NRL umzusetzen.
Für die Warnung von Kritikern, SUR und NRL gefährdeten die Ernährungssicherheit und Arbeitsplätze, gebe es keinerlei wissenschaftliche Belege. Nach Ansicht der Forscher sind es nicht die geplanten Vorschriften, die die Erträge in Europa gefährden, sondern der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt. Der Rückgang der Beschäftigungszahlen im europäischen Agrarsektor lasse sich vor allem auf technologischen Fortschritt zurückführen.
Die Umweltzerstörungen des derzeitigen Agrarsystems belaste die Gesellschaft mit Kosten im Milliardenbereich. Diese Kosten könnten bei einer nachhaltigen Umgestaltung des Sektors eingespart werden. SUR und NRL sollten daher als „kosteneffiziente Investition betrachtet werden“, rechnen die Wissenschaftler vor.
Die Gesetzesentwürfe könnten also einen Beitrag zum nachhaltigen Agrarsektor leisten, der auch langfristig leistungsfähig sei. Laut Expertensicht kann Europa darüber hinaus viel besser zur Ernährungssicherheit beitragen, indem es den Fleischkonsum, die Lebensmittelverschwendung sowie die Verwendung von Biokraftstoffen verringert.
Was meint ihr?
Fakt ist: Viele Landwirt:innen sind von den Diskussionen rund um SUR und NRL betroffen. Denn im Südwesten Deutschlands liegen 37 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen in einem Schutzgebiet.
Bewirtschaftet ihr Flächen in einem Schutzgebiet? Wie beeinflusst das eure Arbeit schon jetzt?
Und was denkst du zu SUR und NRL?
Schreibt’s uns in die Kommentare 🙂
Modellbetrieb | Variante | Einkommensverlust in Euro/ha | |
---|---|---|---|
Ackerbau | guter Ackerbaustandort | hohes Ertragsniveau | 444,79 |
schwacher Ackerbaustandort | niedriges Ertragsniveau | nicht wirtschaftlich | |
schwacher Ackerbaustandort | niedriges Ertragsniveau (+20%) (5-gliedrige Fruchtfolge) | nicht wirtschaftlich | |
schwacher Ackerbaustandort | niedriges Ertragsniveau (+20%) (3-gliedrige Fruchtfolge) | 308,92 | |
Futterbau | knappe Fläche (80 ha) | hohe PSM-Intensität | 305,18 |
knappe Fläche (80 ha) | mittlere PSM-Intensität | 204,97 | |
Fläche nicht knapp (100 ha) | hohe PSM-Intensität | 135,64 | |
Fläche nicht knapp (100 ha) | mittlere PSM-Intensität | 109,29 | |
Gemüsebau | 6905,49 |
Quelle Tabelle: https://wirlandwirten.de/wp-content/uploads/2023/07/Gutachten_SUR_Kurzfassung.pdf