Willkommen auf der Alp!
Hi, ich bin Jenny und ich bin 33 Jahre alt. Ich arbeite als Redakteurin bei Wirlandwirten mit, meine Hauptaufgaben liegen aber beim BLHV, dort arbeite ich in der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Ich habe keinen landwirtschaftlichen Betrieb, deshalb kann ich euch nicht zu mir nach Hause mitnehmen. Aber diesen Sommer war ich auf der Alp in der Schweiz, und dorthin nehme ich euch mit! Ich war schon einige Sommer auf derselben Alp, daher ist es für mich wie nach Hause kommen. Im Studium hat es mir den dringend notwendigen Ausgleich gegeben (und auch das dringend notwendige Geld). Jetzt ist der letzte Sommer aber schon fünf Jahre her, und zu Beginn war ich ganz schön aufgeregt.
Lange Tage
Endlich wieder auf der Alp. Es fühlt sich wie Heimat an – nach ein paar Wochen fast, als ob ich nie etwas anderes gemacht hätte. Den Ort kenne ich seit über zehn Jahren. Zwei Herden, eine mit Mutterkühen und Kälbern, eine mit Milchkühen, insgesamt knapp 50 Tiere. Was mich zu Beginn fast überfordert hat, fühlt sich auf einmal überschaubar und machbar an. Die Namen kenne ich, die Euter kenne ich.
Und in dem Moment, in dem man sich freut und sich der Aufgabe endlich gewachsen fühlt, passiert etwas Unerwartetes: Ein Zaun auf dem Weg zu einer neuen Weide, der plötzlich übermorgen statt in einer Woche fertig sein muss; eine Kuh, die am Morgen unauffindbar ist; ein hartes Euter-Viertel. Dann noch Besuch, der zwar schön ist, aber in dem Moment leider einfach zu viel. Mäuse im Haus. Personalwechsel. So schnell kommt man an die Grenze zur Überforderung… und zack, ist man wieder am Boden angekommen.
Dann die frohe Botschaft am Abend: Die Zellzahlen sind gut, das erste Feedback schwarz auf weiß. Ein Tag fühlt sich an wie drei, mit vielen Höhen und Tiefen. Genau das ist Alp für mich, und es macht süchtig.
Alpwirtschaft in der Schweiz
In der Schweiz ist es die Alp, in Österreich ist es die Alm. Die Alpwirtschaft hat in den Bergregionen eine lange Tradition. Über den Sommer werden die Tiere in die Höhe geschickt, im Tal machen die Bauern Heu. Die Milch wird als Käse haltbar gemacht für den Winter. Ganz nebenbei geschieht die Landschaftspflege, die Weiden werden offen gehalten. Früher gab es viel mehr Alpen: In dem Tal, in dem ich bin, waren es früher zwei Alpen mit jeweils drei Stafffeln. Drei Staffeln bedeutet drei mal umziehen: im Frühjahr ist man unten, wenn die Weiden dort leer sind zieht man weiter nach oben und zuletzt im Hochsommer lebt man mit den Kühen auf der obersten Staffel. Diese wurden mit jeweils knapp 100 Tieren bestoßen. Heute sind es noch knapp 50 Tiere, wovon 17 gemolken werden. Die zweite Herde besteht aus Mutterkühen mit ihren Kälbern. Die dritte Stafel hat Probleme mit der Wasserversorgung, ist nur zu Fuß erreichbar und wird seit über zehn Jahren aufgrund des geringen Viehbestands nicht mehr bewirtschaftet. Die Milch geht seit den 60ern über eine Pipeline ins Dorf, gekäst wird seitdem hier oben nicht mehr.
Die Folgen? Verbuschung der Weiden. Leider breitet sich oftmals nicht Wald aus, sondern Grünerle überwuchert große Teile der ehemaligen Weiden. Untersuchungen in der Ostschweiz zeigen, dass sich die Grünerlenbestände in den letzten 75 Jahren verdoppelt haben aufgrund der rückläufigen Beweidung. Das Problem ist, dass es Bäume wie Fichte, Lärche und Zirbe im feuchten Unterwuchs der Grünerlenbestände schwer haben. Das natürliche Aufkommen von Nadelwald ist deshalb mittelfristig nicht mehr möglich.
Zäunen, zäunen, zäunen
Da es auf meiner Alp keine Stallgebäude gibt, verbringen die Kühe Tag und Nacht auf der Weide. Hierfür müssen selbstverständlich viele Zäune gebaut werden. Früher ging das mit Vorlochstange, Schlägel und Holzpfählen. Heute sind für die meisten Weiden Plastikstöcke vorhanden. Außerdem gehen wir mit Litzenrollen los und mit einigen Isolatoren, falls noch alte Holzpfähle oder Bäume vorhanden sind. Der Strom kommt von der Sonne: Es gibt insgesamt drei Solar-Zaungeräte. Mit dem Zäunen habe ich circa eine Woche vor dem Alpauftrieb begonnen. Am schnellsten geht es, wenn eine Persond die Plastikpfähle steckt, eine die Litze abrollt und eine einhängt. Je nach Tagesplanung kann es aber auch vorkommen, dass eine Person alle drei Arbeitsschritte übernimmt. Die Weiden sind teilweise sehr steil, besonders steile Stellen müssen ausgezäunt werden, sodass keine Kuh abstürzt. Die Weiden werden portioniert, sodass die Tiere insbesondere nachts alle zwei bis drei Tage neues Futter bekommen. Portioniert ihr die Weiden auch auf eurem Betrieb?
Melken
Die Nachtweiden sind in der Regel näher bei der Hütte, sodass man die Kühe nicht ganz so weit herholen muss. Der Tag beginnt zwischen 4:30 und 5:30, je nach Entfernung der Weide von der Hütte. Die ersten Nächte verbringen die Kühe um die Hütte herum, sodass ich nicht ganz so früh aufstehen muss. Die Tiere, 17 Milchkühe und sieben Rinder, werden in das Rundel getrieben. Wenn alle da sind, binden wir die Kühe vom ersten Bauern an der Melkplatte an. Melkzeug zusammen bauen (es handelt sich um eine Eimermelkanlage) und Feuer machen sind die nächsten Schritte, sodass das Wasser im Boiler nach dem Melken mindestens 70 Grad zum Melkzeugwaschen hat. Sicherstellen, dass der Stöpsel in der Pipeline im Milchtank steckt, sodass die Milch gesammelt wird, Kühlung anschließen und den Papierfilter einbauen. Wenn noch Zeit ist, kurz hinsitzen und einen Keks essen. Danach checken, ob der Benzintank voll genug ist und das Notstromaggregat starten, die Vakuumpumpe anschalten und los geht’s. In diesem Sommer melke ich alleine. Erst acht Kühe, im zweiten Durchgang vom zweiten Bauern sind es neun. Die Milch wird in Eimern in die Melkhütte getragen und durch einen Filter und eine Wasserkühlung gelangt sie in den Tank (siehe das letzte Bild in der Bilderreihe unten).
Um Punkt 7:30 wird die Milch „geschickt“: Der Pfropfen wird aus der Milchleitung gezogen, die Milch fließt durch die Pipeline ins Tal. Sobald die Milch weg ist, wird ein Schwämmchen in die Leitung geschickt, um zu signalisieren, dass jetzt keine Milch mehr kommt und die Person im Dorf unten den Schlauch aus dem Milchtank nehmen soll. Danach wird mit Wasser gespült, und zwar den ganzen Tag. Nach dem Melken freut man sich besonders, wenn man das Notstromaggregat wieder ausschalten kann und endlich wieder Ruhe ist. Die Kühe werden auf die Tagweide getrieben, das Melkzeug abgewaschen und der Tank geputzt, die Melkplatte gefegt und dann gibt es endlich Frühstück: am liebsten Pfannkuchen mit frisch gelegten Eiern oder Grießbrei 🙂
Tagesablauf
Nach dem Frühstück steht in der Regel Zäunen an: viele Kilometer weit muss Zaun gebaut werden. An manchen Tagen wird Holz gehackt, die Mutterkühe werden umgezogen oder es wird Wäsche gewaschen. Jeden zweiten Tag laufe ich eine Stunde um die Mutterkühe zu zählen und zu schauen, ob es ihnen allen gut geht. Die Sonntage versuche ich jedoch „frei“ zu machen, also hauptsächlich zu Melken und nicht viel sonst zu arbeiten. Aber auch das geht nicht immer auf.
Am Nachmittag werden die Kühe wieder so von der Weide geholt, dass das Melken um 17:30 beginnen kann. Abends wird die Milch um 18:30 ins Tal geschickt. Wenn alles gut geht, können wir um 19:30 gemeinsam Abendessen, nachdem die Kühe auf der Nachtweide sind und das Melkzeug und der Tank gewaschen sind. Dann liege ich um 21:30 im Bett.
Älplerleben
Auf meiner Alp gibt es keinen Strom. Handys werden während dem Melken geladen, Taschenlampen ebenso. Gekocht wird auf Gas, geheizt mit Holz. Die warme Dusche gibt es eben nur, nachdem man eingeheizt hat. Aber: Es gibt eine Dusche und eine normale Toilette. Die Hütte ist gemütlich und die Aussicht vom Klo ist die weltbeste!
Brot backen wir selbst, abends gibt es Kerzenromantik und wenn Besuch kommt, gibt es wieder frisches Obst und Gemüse. Meistens gefällt mir das gut, aber es gibt Momente, in denen ich mir wirklich eine kleine Solarzelle mit einer Steckdose und eine Lampe in der Küche wünschen würde. Beispielsweise, wenn der Gartenschläfer mal wieder seinen Unfug treibt…
Durch meine wechselnden Helferinnen und Helfer gab es in diesem Sommer wirklich viel abwechslungsreiches Essen. Das ist nämlich ohne Kühlschrank garnicht mal so einfach wenn man den ganzen Sommer hier oben ist. Aber immerhin: frische Milch und frische Eier gibt es jeden Tag!
Kitsch?
In der diesjährigen Z’Alp, der Zeitschrift für Älplerinnen und Älpler, ist das Thema „Kitsch“. Die Medien haben dazu beigetragen, dass sich das Bild des romantischen Hirten und Sennerinnenlebens verfestigt haben. Und ja, auch mir geht es im Nachinein so, dass ich dazu tendiere zu romantisieren. Abende am Feuer mit Sonnenuntergang und Kuhgebimmel, das Eintreiben bei stahlendem Sonnenschein, Melken unter freiem Himmel, die Blütenpracht auf der Weide. Aber dann denke ich wieder an Melken im Regen und Matsch, an die Gewitter, bei denen die Hütte wackelt, an den Gebärmutterprolaps bei einer der Milchkühe, an die Momente, als mir eine Kuh gefehlt hat und ich vom schlimmsten ausging oder als der Fuchs zwei meiner Hühner getötet hat und ich den Vorgang ganz genau aus meinem Bett gehört habe.
Shit happens…
Immer wieder passiert Ungeplantes auf der Alp. Dieses Jahr sind gleich zu Beginn zwei Dinge ganz schön schief gelaufen und ich war wirklich froh, dass es nicht mein erstes Jahr war: Am ersten Abend kam die Milch unten im Dorf nicht an und nach einer Woche ließ sich das Wasser im Boiler nicht mehr aufheizen.
Am ersten Abend nach dem Melken ziehe ich den Stöpsel im Milchtank aus der Milchleitung, die Milch fließt ab. Allerdings kommt sie unten im Dorf nicht an. Die Bauern kommen noch am Abend hoch auf die Alp, sie wissen in etwa, wo die Pipleline verläuft, finden das Loch aber tatsächlich erst nach zwei Tagen harter Arbeit. Bis dahin wird die Milch in großen Milchkannen geholt und ins Dorf gefahren.
Nach circa einer Woche merke ich, dass der Boiler schlechter heizt und Wasser daran herunter läuft. Wir lösen das Problem zunächst, indem wir den Zulauf zum Boiler während der Melkzeit zudrehen, so kann kein neues Wasser nachlaufen. Nach zwei weiteren Tagen ist es so weit: Eine Fontäne schießt oben aus dem Boiler, es funktioniert gar nichts mehr. Der Schneedruck hat im Winter das Ofenrohr so fest auf den Boiler gedrückt, dass es wohl einen Schaden verursacht hat. Ich rufe den Alpmeister an, die drei Bauern kommen noch am Abend und in strömendem Regen auf die Alp, holen den Boiler von der zweiten Staffel und bauen ihn auf den Ofen bei mir ein. Um 22 Uhr ist endlich alles fertig und es gibt ein Feierabend-Bier.
In solchen Situationen wird mir besonders deutlich, wie wertvoll es ist, dass alle drei sofort reagieren, wenn etwas auf der Alp nicht passt. Und wie besonders es ist, dass auch nachts um 22 Uhr, komplett nassgeregnet und nassgeschwitzt, noch gelacht wird und sich alle gut verstehen.
Ihr wollt auch auf die Alp gehen?
Die Webseite für Älplerinnen und Älpler www.zalp.de beinhaltet eine Stellenbörse. Als gelernte Landwirtin oder Landwirt, oder mit familiären Hintergrund in der Landwirtschaft ist es deutlich leichter, Stellen zu finden.
In den letzten Jahren ist das auf die Alp gehen zum Trend geworden, vielleicht nochmal verstärkt durch Corona. Viele Bauern haben schlechte Erfahrungen gemacht mit Leuten, die auf die Alp kamen und Alp-Romantik erwartet haben anstatt 14-Stunden-Tage.
Toller Bericht
Dankeschön
Hallo Jenny
Tolle Arbeit die Du da vollbracht hast .Echt klasse .
Wir kennen uns
Tolle natürliche Berichterstattung, immer wieder zum grinsen!
Ein Gefühl des alpinen Landlebens, super!
Vielen Dank.