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Jung und trotzdem der eigene Chef – Landwirtschaft im Nebenerwerb

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Hi, ich bin Julian Keller, 23 Jahre alt und seit einem Jahr Betriebsleiter auf unserem Hof in Mahlspüren bei Stockach. Früher waren wir ein konventioneller Milchviehbetrieb im Nebenerwerb – heute machen wir Bioackerbau inklusive Sonderkultur und einem Sägewerk. Wie es dazu kam, wie der Betrieb heute aussieht und was die Herausforderungen sind, erfahrt ihr hier – viel Spaß beim Lesen!

Die Idee mit dem Sägewerk kommt eigentlich von meinem Vater, umgesetzt haben wir sie aber dann zusammen.

Wer bin ich?

Technik hat mich schon immer begeistert. Bereits als Kind war ich schon beim Instandsetzen von Maschinen dabei. Da ich aber keine Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker machen wollte, lag der Schritt in die Industrie nahe.
Nach der mittleren Reife hab ich eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht und dort mein mechanisches Grundverständnis vertieft. So kenne ich die technischen Zusammenhänge und kann auch mal Ersatzteile selbst anfertigen.

Aktuell arbeite ich zu 100 % als Programmierer für CNC Maschinen in der Industrie. Zur Arbeit muss ich nur 5 Kilometer fahren – das ist natürlich sehr angenehm.

Aber die Abwechslung machts – Geld verdienen mit dem Hauptberuf und trotzdem der Leidenschaft nachkommen. So ist immer etwas zu tun!

 


Unser Betrieb:

  • 10 Hektar Ackerbau > Biologisch
  • 10 Hektar Grünland > Biologisch
  • 5 Hektar Wald
  • Sägewerk 

 

Schluss mit den Kühen, her mit einem neuen Konzept

Unter der Leitung von meinem Vater waren wir bis 2010 konventioneller Milchviehbetrieb mit circa 60 Tieren, inklusive Nachzucht. Da unser alter Anbindestall aus den 1970ern war, wäre eine Investition in einen Laufstall mit neuer Melktechnik angestanden. Außerdem hätten wir mehr Fahrsilos gebraucht und auch ein neues Güllelager wäre notwendig gewesen.

Dafür waren die Kosten einfach zu hoch und da ich erst 10 Jahre alt war, konnte man auch noch nicht sagen, ob ich den Betrieb überhaupt einmal weiterführen werde. Außerdem hatten wir zu wenig Fläche dafür.

Also wurde 2010 die Milchviehhaltung aufgegeben. Da Maschinen und Fläche jedoch vorhanden waren und wir das nicht aufgeben wollten, führte mein Vater den Betrieb weiter – mit Ackerbau und Grünland.

 

Ackerbau und Sägewerk

2019 haben wir komplett auf EU-Bio umgestellt. Dann haben wir uns ein Sägewerk angeschafft und somit ein neues Standbein gestartet. Aus dem eigenen gesägten Holz bauten wir dann eine Maschinenhalle mit rund 320 m², um Heuballen und Maschinen unter dem Dach zu lagern.

Am 1. Juli 2022 war die Betriebsübergabe an mich. Ein Jahr später haben wir ein neues Betriebskonzept entwickelt: Bio-Ackerbau. Die Neuerung? Wir haben einen Striegel und einen eigenen Mähdrescher angeschafft. Außerdem starteten wir mit dem Anbau von Leinsamen als Sonderkultur.

Langsam aber sicher – ein Hektar in der Stunde ist kein Thema. Unser Drescher ist zwar 50 Jahre alt, aber läuft!

Wir bauen an:

  • Kleegras
  • Winterweizen
  • Braugerste
  • und Leinsamen

Das Kleegras wird mit der Gülle von einem nahe gelegenen Viehbetrieb getauscht. Da wir alle Arbeiten selbst machen, können wir auch immer wieder Ausprobieren und so Erfahrungen sammeln – gerade was den Unkrautdruck im Ackerbau angeht. Unser Getreide geht aktuell in den Handel. In Zukunft wär’s aber ideal, wenn wir direkt an einen anderen Betrieb verkaufen könnten.

Nische Lohnsägen

Eine einfache Bandsäge haben wir uns zunächst nur für den Eigenbedarf zugelegt. Das war schon immer ein Traum von meinem Vater. Auch wollten wir als Projekt eine eigene Maschinenhalle aus eigenem Holz und eigens gesägten Brettern bauen – das haben wir dann auch gemacht. Immer abends nach der Arbeit. Schnell haben wir aber erkannt, dass es da auch eine Nische gibt: Sägen von Stammholz zu Balken, Brettern oder Latten im Lohn. Vor allem für Kleinkunden und Landwirte aus der Umgebung. Große Sägewerke haben an solch kleinen Mengen kein Interesse.

Bei uns kann man auch nur einen Stamm sägen lassen. Meistens helfen die Kunden mit oder stellen einen oder zwei Helfer, damit einfacher entschieden werden kann, was aus dem jeweiligen Stamm zu machen ist.

Der Hauptjob sollte nicht die Landwirtschaft finanzieren

Wir sind zu 100 % eigenmechanisiert. Zwar mit überwiegend alter Technik, aber dafür haben wir keine Kosten durch Lohnunternehmer. Außerdem kaufen wir die Maschinen gebraucht und können sie selbst reparieren.

5 Traktoren – alle Baujahr 1962 bis 1998 – gehören zum Inventar, außerdem ein 50 Jahre alter Mähdrescher, ein Minibagger und ein Radlader.

Mit unserer Rundballenpresse machen wir extensives Pferdeheu, das zu einem Fixpreis an Abnehmer verkauft wird. Durch den Bioanbau sparen wir uns Kosten im chemischen Pflanzenschutz und Dünger – müssen aber natürlich dafür zeitaufwendig mechanischen Pflanzenschutz betreiben, meistens durch striegeln.

Der Nebenerwerbsbetrieb trägt sich so gut es geht selbst. Wir wollen nicht mit unserem Privatvermögen die Landwirtschaft finanzieren. Trotzdem ist der Schritt zum Vollerwerb derzeit nicht denkbar, weil wir einfach nicht davon leben könnten.

 

 

Zu welchem Blattstadium am besten gestriegelt wird, finden wir nach und nach heraus.

Ausflug mit der Freundin: Traktor fahren

Mein Vater arbeitet halbtags in der Logistik in einer Elektroteilefirma und kann somit am Nachmittag immer etwas für den Betrieb machen  – das braucht er auch!

Ich habe eine ganz normale 40-Stunden-Woche. Aber durch das Gleitzeitmodell in unserer Firma habe ich flexible Arbeitszeiten und kann so besser planen, wenn etwas auf dem Acker ansteht.

Meine Freundin unterstützt das Ganze zum Glück und steht vollends hinter mir. Sie muss sich eben manchmal mit einer Runde Traktor- oder Drescherfahren zufrieden geben, statt mit einem Ausflug. Aber tatsächlich bleibt für sie und auch für Freizeit genügend Zeit – auch Urlaub ist möglich.

Ohne Vieh hat man ja keine täglich fixe Bindung an den Betrieb. Im Ackerbau merkt man das natürlich vor allem im Winter – dafür kann ich dann auf der Säge mehr machen.

Warum mache ich das Ganze weiter?

Ich möchte die Tradition erhalten – das von vielen Generationen Aufgebaute weiterführen.

Durch den Nebenerwerb habe ich doppelte Abwechslung: Einmal durch den Hauptjob und einmal durch die Vielseitigkeit im Betrieb: Ackerbau und Sägewerk. So wird’s nicht langweilig! Als Industriemechaniker habe ich nur mit Stahl und Aluminium im Hauptjob zu tun – da macht das Arbeiten mit Holz umso mehr Spaß.

Außerdem ist es ziemlich cool sein eigener Chef sein. Mit meinem Vater verstehe ich mich wirklich gut, wir lernen voneinander und arbeiten gut zusammen. Er akzeptiert mich als neuen Betriebsleiter und lässt mich – nach kleinen Startschwierigkeiten – machen. Wenn er mal anderer Meinung ist, finden wir (meistens) gemeinsam eine Lösung.

Als nächstes mache ich die Ausbildung zum Nebenerwerbslandwirt – wenn ich im Landkreis Konstanz angenommen werde.

Hier unsere Internetadresse: sägewerk-keller.de – Schaut vorbei 🙂

Mit der Bandsäge können wir auch sehr dicke Baumstämme sägen.

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