Am 23. Juni fand der erste europäische Alpen.Gipfel am bayerischen Schliersee statt. Mit hochkarätiger Besetzung aus Politik, Landwirtschaft, Tourismus, Natur- und Tierschutz wurde über die Zukunft der Berglandwirtschaft diskutiert. Sehr hochkarätig waren auch wir von wirlandwirten dabei und haben für euch eingefangen, was über Problem-Wölfe, Problem-Touristen und die Bedeutung unserer Berglandwirtschaft gesprochen wurde.
Ach, die Berge – Wandern und Radeln in unberührter Natur. Unberührte Natur? Da können die Bergbäuerinnen und -bauern wohl nur den Kopf schütteln. Denn klar ist: Die von allen so geschätzte Kultur- und Erholungslandschaft ist menschengeschaffen. Seit Generationen werden die schwer zu bewirtschaftenden, weil steilen Flächen durch landwirtschaftliche Nutzung frei gehalten, gepflegt und erhalten. Idyllische Berghöfe, traditionelles Handwerk, gelebter Dialekt – ein unschätzbares Erbe unserer Kultur, Inbegriff von Entschleunigung und Erholung. Was so romantisch daherkommt, sind in Wahrheit hart arbeitende Landwirt:innen, die dem Ansturm der Touristen, immer absurder werdenden Auflagen und Bürokratie-Bergen und der Bedrohung durch den Wolf trotzen – dabei Erholungsraum für die Städter:innen schaffen, die Biodiversität erhalten, einzigartige Lebensmittel produzieren. Und das alles so bescheiden, dass die Touristen nichtsahnend durch die „unberührte Natur“ spazieren.
Touris? Gerne! Aber bitte mit ein bisschen Respekt
Corona hat den Inland-Urlaub wieder modern gemacht, E-Bikes ermöglichen auch den Unsportlicheren die Radtouren in den Bergen: Rund 50 Millionen Besucher:innen strömen jährlich in die Alpenregion. Die haben natürlich auch Wohlstand in die Berge gebracht, ganz klar – für viele Berglandwirt:innen ist der Tourismus ein entscheidendes Standbein und ein Segen. Leider sind sich viele Touristen nicht darüber im Klaren, dass sie sich auf fremdem Eigentum befinden – und dass sie sich angemessen verhalten sollten. Einige Landwirt:innen berichteten von Problemen mit nicht angeleinten Hunden, Radsportler:innen, die querfeldein fahren, Individualist:innen, die einfach irgendwo ihr Camping-Lager aufschlagen und sich an Obstbäumen bedienen. Landwirt Sepp Glatz erzählte: „Ich muss die Touristen bitten, Platz zu machen, damit ich auf meiner eigenen Fläche arbeiten kann.“ Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig meinte, dass viele sich einfach nicht für die Landwirtschaft interessierten und es deshalb immer wieder zu Angriffen von Mutterkühen und ähnlichen Zwischenfällen komme. Er sah die Verantwortung ganz klar auch bei den Touristen, sich zu informieren und Rücksicht zu nehmen. Hanspeter Mair vom Deutschen Alpenverein plädierte für eine mediale Aufklärungskampagne.
Der böse Wolf
Obwohl das Thema Berglandwirtschaft sicher vielseitigen Diskussionsstoff bietet, drehte sich (natürlich) bald alles um ihn: den Wolf, von Naturschützern bejubelt, von uns Landwirt:innen eher gefürchtet. Viele aus unserem Berufsstand haben sich zu Wort gemeldet, haben von verletzten und gerissenen Tieren berichtet, man sprach von den Jungrindern, die erst vorletzte Woche im Chiemgau in Todesangst eine Felswand hinunter in den Tod gestürzt sind. Landwirt Eckhard Schmieder von der Arbeitsgemeinschaft Höhenlandwirtschaft hat Rinder gesehen, denen „eine Arschbacke“ fehlte: „Da kann der Tierschutz doch nicht daneben stehen und sagen, dass der Wolf bleiben muss!“ Viele Bergbäuerinnen und -bauern sehen ihre Existenz bedroht. Sie können und wollen ihre Tiere nicht dem Wolf zum Fraß vorwerfen, im Ernstfall würden sie die Almen verlassen. Die Verbraucher:innen wünschen sich, dass wir die Tiere rauslassen, andererseits soll nichts unternommen werden, wenn die Tiere auf der Weide angegriffen, verletzt und getötet werden – wie passt das zusammen?
Uns allen geht es um Tierschutz
Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber fand klare Worte: „Tierschutz ist nicht eindimensional! Auch unsere Nutztiere haben ihn verdient!“ Sie betonte auch den großen emotionalen Wert, den unsere Tiere für uns haben – Entschädigungszahlungen würden da rein gar nichts nutzen, sagte sie. Generell wurde beim Alpen.Gipfel oft betont, dass es in der Wolfs-Diskussion nicht ums Geld geht. Natürlich entsteht ein finanzieller Schaden bei einem Wolfsriss, aber die Angst um die Tiere, der emotionale Stress der Nutztierhalter:innen wiegt wesentlich schwerer – einigen wurde die Stimme brüchig, als sie von ihrer Situation berichteten.
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, machte noch einmal deutlich, dass es auch nicht darum gehe, den Wolf wieder ausrotten zu wollen. Der gewünschte gute Erhaltungszustand des Wolfs sei aber erreicht. „Jetzt geht es darum, die Zukunft der Bauernfamilien zu sichern“, sagte er. Dem schloss sich auch der aus Brüssel zugeschaltete Herbert Dorfmann von der Südtiroler Volkspartei an: Die FFH-Richtlinie komme aus einer Zeit, in der Wölfe bei uns ausgerottet waren, die Situation müsse jetzt neu bewertet werden, meinte er. Er benannte es als Aufgabe der Länder, Pläne zum Wolfsmanagement in Brüssel vorzulegen. (Zur Info: Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie aus dem Jahr 1992 sichert dem Wolf einen besonderen Schutzstatus.) Der Südtiroler Politiker Arnold Schuler nannte es „unlogisch“, dass bei anderen Tierarten ein regulierendes Eingreifen selbstverständlich sei, beim Wolf aber nicht. Unterm Strich sprachen sich die meisten für wolffreie Zonen zur Sicherung der Weidehaltung und den gezielten Abschuss einzelner Problem-Wölfe aus.
Und jetzt?
Die Bergbäuerinnen und -bauern erhalten die Kultur- und Erholungslandschaft für alle, pflegen Traditionen und tragen mit der Almbeweidung zum Schutz der Biodiversität bei. Diese Bedeutung muss sichtbar gemacht werden, betonte Alois Glück, ehemaliger Landtagspräsident im Bayerischen Landtag. Joachim Rukwied sprach von einer „menschengeschaffenen Perle“, die nur mit Unterstützung aus Brüssel eine Zukunft habe. Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbands, warnte: Mit dem Verschwinden der Bergbauern würde eine Kettenreaktion ausgelöst, die niemand will, die dann aber nicht mehr aufzuhalten wäre.
Abschließend fragte Landwirt Sepp Glatz: „Was ist es der Bevölkerung noch wert, was wir leisten? Und wenn es das wert ist, dann müssen wir handeln!“
Was sagen Sie dazu, Mr. President?
Auch Bernhard Bolkart, Präsident des BLHV, war beim Alpen.Gipfel dabei. Wir haben ihn um ein Interview gebeten – seine Antworten auf unsere Fragen findet ihr hier.