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Alte Apfelsorten – Eine Nische mit unterschätztem Potenzial

Fachbeitrag
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Mitte des 19. Jahrhunderts waren in Deutschland etwa 2000 Apfelsorten bekannt. Im Zuge des Erwerbsobstbaus sind aktuell noch 30 Sorten mengenmäßig von Bedeutung. Viele alte Sorten werden in Hausgärten und Genbanken gepflegt, um ihre besonderen Eigenschaften zu erhalten. Eleonora Zickenheiner erforscht mit ihrem Projekt „Öpfelgärtli“ alte Apfelsorten im Dreiländereck. Ihre Vision: Vergessene Schätze wieder in die Gärten zu bringen oder für kleine Landwirtschaftsbetriebe mit Direktvermarktung interessant zu machen. Warum das Projekt seit kurzem auf der Kippe steht, erfahrt ihr ganz unten.

Sabine Köllner
Eleonora Zickenheiner lebt im Wiesental und forscht an der Humboldt-Universität Berlin zu alten Apfelsorten der Region.

Einen frischen Apfel oder einen Apfelkuchen – wer liebt ihn nicht?

Das Forschungsprojekt der Gesundheits- und Agrarwissenschaftlerin Eleonora Zickenheiner ist weit gefasst. Denn der Apfel ist mehr als nur ein Obst. Keine andere Frucht ist so symbolträchtig. Angefangen mit Adam und Eva, bis hin zu seiner Allgegenwart in unseren Geschichten, im Wortschatz und auf unserem Teller.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Apfelsorten auch Namen erhielten, die auf Bräuche zurückgehen. Manchmal wurden diese auch entstellt: Die Sorte Mönchsnase war damals eine Anspielung auf die oftmals – vom übermäßigen Wein und Biergenuss – roten Nasen der Mönche.

Früher wurden Apfelsorten von einem Kloster an das nächste weitergegeben. Und manch eine Sorte fand ihren Weg auf die heimische Streuobstwiese, indem ein Apfel klammheimlich aus einem klösterlichen Garten stibitzt wurde. Aber auch Kriege führten zur Verbreitung von Sorten, wie es beispielsweise bei der Sorte Frau Rotacher war. Denn manche Soldaten brachte einen Apfelreis mit nach Hause.

Das Forschungsprojekt

Mit ihrer Promotionsarbeit, die an der Humboldt Universität in Berlin verortet ist, geht Eleonora Zickenheiner in einem vierjährigen Forschungszeitraum verschiedenen Fragestellungen nach: Welche alten regionalen Sorten existieren in unserer südwestlichen Region heute noch? Inwieweit können alte Sorten dem Klimawandel standhalten?

Außerdem geht es der Wissenschaftlerin darum, alte Apfelsorten neu zu kultivieren und die gewonnenen Früchte auf ihren Anteil an gesundheitsförderlichen Pflanzenstoffen, den Polyphenolen, zu untersuchen.

Polyphenole sind aromatische Verbindungen, die zu den sekundären Pflanzenstoffen gehören. Sie befinden sich im Apfel besonders in der Schale und direkt darunter, wodurch die Frucht aromatisch schmeckt. Außerdem sind sie dadurch widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten und Schädlingen als andere Sorten. Einige Polyphenole wirken entzündungshemmend und krebsvorbeugend. Ein hoher Gehalt an sekundären Pflanzenstoffe trägt außerdem dazu bei, dass Allergiker die entsprechenden Apfelsorten meist problemlos vertragen.

 

Hinter jeder Nummer verbirgt sich eine Apfelsorte. Es wird der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen bestimmt.

Über 400 alte Sorten gefunden

Woher all die Apfelbäume alter Sorten für ihre Untersuchungen stammen?

Am Anfang des Projektes stand eine akribische und langwierige Recherche. Auf über 400 alte Sorten ist die Wissenschaftlerin gestoßen. Davon ließen sich 200 Apfelsorten ausfindig machen – nach Anfragen bei Pomologen-Vereinen, Gen-Datenbanken und Erhaltungsgärten.

Bis ins frühe Mittelalter ließen sich einzelne Sorten zurückverfolgen, wie beispielsweise die Wintergoldparmäne. Von den wenigen Exemplaren, die es noch gibt, können keine Jungbäume gekauft werden. Deshalb war die Agrarökologin auf Reiser aus Erhaltungsgärten in verschiedenen Ländern angewiesen und hat darüber eine eigene kleine Baumschule aufgebaut.

„Der Aufbau meines  Raritätenkabinetts war und ist ziemlich zeitintensiv“, erzählt die Expertin, während sie sorgsam Zweige anbindet. „Jedes Reis musste auf eine niedrigwachsende Unterlage veredelt und der ganze Sortenbestand über zwei bis drei Jahre gepflegt werden, bis ich erste Früchte ernten konnte. Diese wiederum sind die Basis für meine Analysen zu den verschiedenen Polyphenolgehalten.“

Sabine Köllner
Vor hungrigen Wespen und Vögeln geschützt, reifen die Äpfel für die Laboranalyse.

Die inneren Werte überzeugen

Um ihre Erkenntnisse zu gewinnen, stand die Wissenschaftlerin monatelang im Labor und führte Analysen mit hochmoderner Technik durch. In Europa entstand dadurch die bisher größte Studie zum Polyphenolgehalt einer zusammenhängenden Sortenkohorte.

„Die Ergebnisse meiner Analysen bestätigen, dass sehr viele meiner untersuchten alten Apfelsorten einen hohen Polyphenolanteil aufweisen“. Dazu gibt es eine Übersicht, die für jede der untersuchten Apfelsorten den Anteil und die Zusammensetzung der gesundheitsförderlichen Wirkstoffen aufzeigt. „Sicher können extensiv angebaute alte Sorten in puncto Ebenmäßigkeit und makellosem Aussehen mit neuen Tafelapfelsorten im Erwerbsobstbau nicht mithalten, doch dafür überzeugen ihre inneren Werte. Die Ergebnisse jedenfalls beweisen ihren hohen Gesundheitswert.“

Ob ein Apfel reichlich sekundäre Pflanzenstoffe enthält, zeige sich auch beim Anschnitt: Je schneller das Fruchtfleisch bräunt, sprich oxidiert, desto mehr der gesunden Antioxidantien hat der Apfel gebildet. Indem sie oxidieren, deaktivieren sie ein Protein, das bei manchen Menschen allergische Reaktionen auslösen kann, weiß die Expertin.

Menschen mit einer Fructose-Unverträglichkeit reagieren beispielsweise bei Sorten wie Jonagold, Golden Delicious oder Gala häufig mit Verdauungsproblemen, Heuschnupfenallergiker mit dem Anschwellen von Mundschleimhaut und Juckreiz. Studien belegen sogar, dass  der regelmäßige Genuss alter Sorten mit hohem Polyphenolgehalt auch „Problemäpfel“ bekömmlicher macht, weil das Immunsystem lernt, mit den Allergenen umzugehen.

„Alte Sorten sind an unsere Region, an unsere Ausgangsbedingungen über viele Jahrhunderte angepasst. Sie sind zudem, weil sie nicht permanent überzüchtet wurden, in ihrer Beschaffenheit relativ konstant geblieben – es sind Sorten von Streuobstwiesen der Region, Sorten aus Klostergärten oder frühe Züchtungen wie Mostäpfel, Tafeläpfel, Küchenäpfel. Aufgrund meiner Analysen kann ich nun für jede untersuchte  Sorte die Polyphenolanteile angeben und damit eine Aussage darüber treffen, ob diese Apfelsorte sich für bestimmte Allergikergruppen eignet.“, fasst die Wissenschaftlerin zusammen.

Wird ein Apfel nach dem Anschneiden rasch braun, ist das ein Zeichen für einen hohen Gehalt an gesunden Antioxidantien. Dadurch wird auch ein Protein deaktiviert, das bei manchen Menschen allergische Reaktionen auslösen kann. Deshalb sind alte Sorten oftmals für Allergiker geeignet.

Klimaresilienz

Zum Thema Klimaresilienz sind bisher fünf Versuchsflächen in den Landkreisen Waldshut-Tiengen, Breisgau-Hochschwarzwald und Lörrach angelegt. Es sind jeweils drei Bäume, von regional ansässigen alten Sorten, in unterschiedlichen Höhen gepflanzt worden. So kann deren Entwicklung in Bezug auf das Klimageschehen und den Schädlingsdruck beobachtet werden.

Die Erkenntnisse aus diesem Stresstest, werden Eleonora Zickenheiner künftig helfen, noch genauere Sortenempfehlungen für die jeweiligen Regionen abgeben zu können. Denn Sorten, die gegenüber Schädlingen eine natürliche Widerstandskraft  (Resilienz) mitbringen, müssen nicht oder weniger behandelt werden. Zudem sind Sorten vitaler, wenn sie gegenüber Trockenheit oder Frost toleranter sind. Diese Eigenschaften sind für einen umweltfreundlichen und nachhaltigen Obstanbau der Zukunft wichtig.

Wie geht es weiter nach dem Apfel-Diebstahl?

Dieser Artikel ist im November 2022 in der Badischen Bauern Zeitung erschienen. Leider ist mittlerweile nicht mehr sicher, wie es mit dem Projekt weitergeht. Denn Anfang September 2023 hat jemand alle Äpfel – an den Bäumen und auf dem Boden – von einer der Flächen von Eleonora gestohlen. Vermutlich handelt es sich nicht einfach um Mundraub, sondern um Sabotage.

Eigentlich hätte die Langzeitstudie mindestens fünf bis sechs Jahre dauern sollen. Jetzt, im zweiten Jahr, steht das ganze auf der Kippe. „Fällt ein Jahr weg, ist das Projekt zerstört. Ich müsste von vorne anfangen“, erklärt Eleonora Zickenheiner. Man könne nicht einfach weitermachen als sei nichts passiert, denn jedes Jahr entwickeln sich die Bäume weiter und ein Jahr beeinflusst das nächste. Gerade bei den Untersuchungen zur Klimaresilienz ist das wichtig.

Es sind nicht nur die Äpfel und die Daten, die Eleonora verloren hat, sondern auch die Zeit, die sie seit fünf Jahren in die Pflege der Bäume gesteckt hat. „Der größte Verlust ist der Erkenntnisverlust“, erklärt die Forscherin. Apfelbäume wachsen langsam, weshalb die Forschung Zeit braucht. Eleonora stellt fest: „Wenn wir jetzt keine klimaresilienten Sorten finden, stehen wir in zehn bis 15 Jahren ohne da.“

Kommentare 2

  1. Liebe Frau Zickenheiner & Kolleg(inn)en,
    die Erforschung der alten Apfelsorten beeindruckt mich sehr. Ist dieses wichtige Forschungsprojekt denn weitergegangen?
    Und wo kann ich erfahren, welche Apfelbaumsorte(n) am besten in 850 m ü.d.M. gedeihen könnte(n), in einem kleinen waldreichen Tal, das manchmal sehr feucht und manchmal heiß und trocken ist. Das Tal befindet sich oberhalb der Kleinstadt Brioude im Zentralmassiv/ Frankreich. Über eine Antwort freue ich mich.
    Herzliche Grüße,
    Théra

    Théra Enibaral
    • Hallo Théra, toll, dass dir unser Beitrag gefällt. Wir werden deine Anfrage an Eleonar Zickenheiner weitergeben, dann kann sie sich direkt bei dir melden. Liebe Grüße

      Maria Wehrle

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